Der Kaiser war hungrig. Der lange Golf-Spa­zier­gang hatte ihm Appetit auf ein Gulasch gemacht. Also kehrte er, wie so oft, auf der Fahrt vom Grün in See­feld zurück nach Kitz­bühl beim Kir­chen­wirt“ in Leo­gang ein. In der Taverne erwar­tete den Kaiser nicht nur eine erha­bene Fleisch­soße mit Erd­äp­feln. Als Becken­bauer durch die mas­sive Holz­pforte ins Innere der mit­tel­al­ter­li­chen Gast­stube schritt, traf er auf zwei alte Bekannte: Jupp Heyn­ckes und Eusébio saßen an einem Eck­tisch und stießen mit Gast­wirt Hannes Unter­rainer an, der an diesem Tag, dem 19. Juli 1999, seinen 49. Geburtstag fei­erte. Der Kaiser bestellte ein Weiß­bier, Unter­rainer schenkte Eusébio ein Glas Whiskey nach – und es wurde ein langer, ein sehr langer Abend. An man­chen Tagen ist der Fuß­ball­planet nicht viel größer als ein Golf­ball. Doch ganz so zufällig, wie es scheint, war das Treffen nicht. Denn das gut­bür­ger­liche Land­hotel ist seit 25 Jahren ein Refu­gium der Fuß­ball­pro­mi­nenz: als Trai­nings­quar­tier, als Win­ter­sport­hotel – und manchmal auch als unauf­fäl­liges Ver­steck. Rudi Völler flüch­tete nach der WM 2002 vor der Presse. Fünf Tage wusste nie­mand, wo der Team­chef steckte. Dabei aß er see­len­ruhig bei Unter­rainer Wiener Schnitzel und ging mit dem Wirt zum Reh­bock­schießen. Und als der Stürmer mit seiner zweiten Frau Sabrina 1995 in die Flit­ter­wo­chen reiste, zog es das Paar nicht auf die Male­diven oder ins roman­ti­sche Venedig, son­dern es baute sich in den 1326 erbauten Gemäuern des Kir­chen­wirts“ ein Lie­bes­nest. Der solide Rudi über­ließ nichts dem Zufall, kannte er das Hotel doch bereits durch die regel­mä­ßigen Besuche mit Jugend­liebe Angela, seiner ersten Ehe­frau. Getoppt wird Völler ledig­lich durch den Ex-Glad­ba­cher Libero Hans Günter Bruns, der bei Unter­rainer inzwi­schen seine dritte Ehe­frau vor­stellte. Nicht allein die üppigen Por­tionen und das geringe Auf­sehen, wel­ches das Hotel erregt, locken die Profis hier in die Pro­vinz. Es ist vor allem der Wirt, der selbst das Herz eines Kickers in seiner Brust trägt. Als West­liga-Ama­teur beim SC Kundl schaffte er es 1970 in die Tiroler Aus­wahl und kickte dort mit Bur­schen wie Kurt Jara, Roland Hat­ten­berger und Bruno Pezzey. Als die acht Jahre später im argen­ti­ni­schen Cór­doba zu natio­nalen Berühmt­heiten auf­stiegen, weil sie Deutsch­land mit 3:2 nach Hause schickten, emp­fing Unter­rainer schon zwei Jahre im Kir­chen­wirt“ Gäste. In spiel­freien Peri­oden schauten die alten Kum­pels aber stets auf einen Vogel­beer­schnaps vorbei. Das Ritual riss auch nicht ab als Pezzey 1983 zu Werder Bremen wech­selte. Im Winter brachte der Ver­tei­diger die Kol­legen von der Weser mit zum Ski­fahren. Und ehe Unter­rainer sich versah, lud Uwe Reinders Team­kol­legen zum Zocken in sein Hotel­zimmer im ersten Stock des Kir­chen­wirt“.

Uwe Reinders lud zum Zocken in sein Hotel­zimmer

An Sil­vester 1985/86 wurde Unter­rai­ners Freund­schaft zu den Wer­der­anern auf eine harte Probe gestellt: Sieben Spieler aus Bremen waren mit ihren Frauen nach Leo­gang gekommen, mit dabei Rudi Völler, Michael Kutzop und Jonny Otten. Zeit­gleich hatten auch fünf Kicker vom FC Bayern zwi­schen den Jahren einen Kurz­ur­laub im Kir­chen­wirt“ gebucht. Allen voran Klaus Augen­thaler, der mit einem Foul an Völler am 23. November 1985, den Stürmer für fünf Monate aus dem Meis­ter­rennen getreten hatte. Zunächst herrschte fros­tige Stim­mung zwi­schen den riva­li­sie­renden Fuß­bal­lern, man zog vor, getrennt zu speisen. Erst am Sil­ves­ter­abend kamen sich die Spie­ler­frauen beim Sekt näher – und schließ­lich ver­söhnte sich der ket­ten­rau­chende Auge“ mit dem immer noch hum­pelnden Völler.

Hannes Unter­rainer schafft es, für die Spieler Beicht­vater, Ver­trau­ens­mann, Fuß­baller-Kenner und Gas­tronom mit hohem Dienst­leis­tungs­be­wusst­sein in Per­so­nal­union zu sein. Ab 1983 hatten sich seine Fähig­keiten soweit her­um­ge­spro­chen, dass der Kir­chen­wirt“ zur ersten Adresse für Trai­nings­lager in Öster­reich wurde. Zum ersten Arbeits­be­such kam der FC St. Pauli mit Trainer Michael Lor­kowski nach Leo­gang. Bis heute waren rund 60 Teams in dem 3000-Seelen-Dorf im Salz­burger Land – von der TSG Hof­fen­heim über Ben­fica Lis­sabon, Apollon Lima­ssol und Zenith St. Peters­burg bis zum aus­tra­li­schen Erst­li­gisten Perth Glory. Nur der ira­ki­schen Natio­nal­mann­schaft mit Trainer Bernd Stange ver­wei­gerte die öster­rei­chi­sche Regie­rung die Ein­rei­se­ge­neh­mi­gung. Die Höhen­lage (850 Meter) von Leo­gang bietet ideale Trai­nings­be­din­gungen, Unter­rai­ners Küche kennt die Erfor­der­nisse moderner Sport­er­näh­rung, der Trai­nings­platz liegt in Fuß­weg­ent­fer­nung, die Mann­schaft hat das Hotel für sich allein, Presse wohnt nicht im Haus – und wenn es wol­kenlos ist, haben die Kicker aus der Stadt freie Sicht auf den wuch­tigen Berg Asitz. Felix Magath miss­brauchte als Coach des 1. FC Nürn­bergs den Wan­derweg des Bergs in bester Quälix-Manier, als er die Spieler vom Gipfel zurück ins Tal joggen ließ. Unter­rainer: Nie hatte ein Team ärgeren Mus­kel­kater. Vier Tage sind sie die Treppe rück­wärts hoch gegangen.“ Der Asitz wirkt auch bei auf­tre­tenden Lager­kol­lern Wunder. Wenn die Schul­land­heim-Streiche der Kicker immer def­tiger werden – mal fliegen Was­ser­bomben aus den Fens­tern, dann werden Spieler ans Bett gefes­selt – erwartet Unter­rainer sie in seiner Alm­hütte am offenen Feuer mit ordent­lich Fass­bier. Und dann wird beim Zechen Luft abge­lassen. Nur die Blackburn Rovers wollten auf die Party ver­zichten und mit der Berg­bahn direkt zurück ins Tal. Grund: das pro­vi­so­ri­sche Plumpsklo hielten die Spieler für unter ihrer Würde. Unter­rainer: Doch nach ein paar Bier senkten die ihre steife Ober­lippe.“ Es war der Beginn einer feucht-fröh­li­chen Rest­woche. Beim Dorf­fest in See­feld kurz darauf ver­nich­teten die Eng­länder zwei Bier­fässer im Allein­gang und ver­sagten Trainer Graham Souness tags drauf die mor­gend­liche Ein­heit. Ein Ein­zel­fall, beteuert Unter­rainer. Denn die modernen Fuß­ball-Zeiten lassen kaum noch Exzesse zu. Als Dietmar Demuth, der Leo­gang noch als St. Pauli-Spieler ken­nen­ge­lernt hatte, 2001 als Chef-Trainer des Kiez-Klubs in den Kir­chen­wirt“ zurück­kehrte, begrüßte er Unter­rainer mit den Worten: Hannes, erzähl den Jungs auf keinen Fall, was bei uns früher abging.“ Und das Wort des Trai­ners ist für den Wirt Gesetz. Immer? Fast immer. So konnte er nicht umhin, Michel Preud’homme und João Pinto von Ben­fica Lis­sabon mit Jeans seines Sohnes aus­zu­statten, um ihnen einen Inko­gnito-Aus­flug in eine Salz­burger Disko zu ermög­li­chen. Damals, am 19. Juli 1999. Trainer Heyn­ckes hatte sein Team nur mit offi­zi­ellen Klub-Out­fits anreisen lassen, um einem Aus­büchsen der Spieler vor­zu­beugen. Doch in trauter Runde mit Becken­bauer und Eusébio bekam er nun vom nächt­li­chen Aus­rü­cken seiner Leis­tungs­träger nichts mit. Und Unter­rainer spen­dierte noch einen Vogel­beer­schnaps.

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