
„Die alte Frage“—Joost Dubaere seufzt und schaut gelangweilt über den Rand seiner Lesebrille. Dann sagt er: „Natürlich ist das ein Thema im Land. Aber ein politisches. Der normale Bürger denkt schon lange nicht mehr daran.“
Es geht um die Frage der belgischen Identität, den Ur-Konflikt des Landes. Flamen gegen Wallonen. Natürlich ist der auch bei dieser Europameisterschaft wieder ein Thema in der Berichterstattung über die belgische Nation und ihre Anhänger.
Der ewige Streit über die Vormacht im Land
Joost Dubaere sitzt im Stade de Lumieres in Lyon und schaut das EM-Spiel Belgien gegen Italien. Er ist Mitte fünfzig, trägt Hemd, Weste und Belgien-Schal. Die Karten hat er von einem Freund bekommen. Fünf Stück, für sich, seine Frau und die drei Kinder. Dubaere ist kein Hardcore-Anhänger der „Roten Teufel“, eher Typ Akademiker-Fan. Er kommt aus Brügge in Westflandern und hat die Debatten um Flamen und Wallonen über die Jahre hautnah mitbekommen.
Seit dem 19. Jahrhundert streiten das (überwiegend) niederländischsprachige Flandern und das (überwiegend) französischsprachige Wallonien um die Hoheit in Belgien. Dabei ging vor allem um wirtschaftliche Aspekte. Einst war die Wallonie dank Steinkohle, Stahl und Glas der Konjunktur-Motor Belgiens. In den sechziger Jahren fielen auch sie der weltweiten Stahlkrise zum Opfer. Die ehemals reiche Region wurden zum Armenhaus des Landes.
Ein Thema für Politiker
Flandern, zuvor von den Wallonen klein gehalten, blühte dagegen auf. Plötzlich ließen sich hier große Firmen nieder. Heute ist das flämische Bruttoinlandsprodukt um 36 Prozent stärker als das wallonische. Die Arbeitslosenquote lag in Flandern 2014 bei fünf, in der Wallonie bei knapp zwölf Prozent. Zudem geht es immer noch um die Frage, was die offizielle Amtssprache Belgiens ist.
„Das ist alles alter Kram“, sagt Joost Dubaere. „Ein Thema der Politiker – ideal für Wahlkampf, weil es polarisiert. Sie betreiben Meinungsmache im Land und die internationalen Medien fallen pünktlich zu den großen Turnier darauf rein.“
Was der Familienvater meint: Die Parteien nutzen den alten Konflikt, um mit Ressentiments bei den konservativen Wählern zu punkten.
So vereint wie nie
Dubaere zeigt ans andere Ende des Stadion, dahin wo knapp 12.000 belgische Fans zusammen in der Kurve stehen. „Guck dir das an. Das ist unsere Rote Wand. Da stehen Flamen und Wallonen Hand in Hand und feuern unsere Mannschaft an. So ticken wir Belgier.“
Er steht mit seiner Meinung nicht allein da. Egal ob bei den belgischen Spielen in Lyon gegen Italien oder in Bordeaux gegen Irland: Spricht man belgische Fans auf den Konflikt an, winken sie müde ab. „Wir sind so vereint wie nie. Die Nationalmannschaft hat auch dazu beigetragen, weil die Spieler alle Belgier mitgerissen haben“, sagt ein Fan in Bordeaux.
Zum Teufel: Das belgische Nationalteam im Portrait »>
Stellvertretend dafür gilt Kapitän Vincent Kompany. Der bei dieser EM verletzte Führungsspieler hat sich immer für ein vereintes Belgien eingesetzt und klar Stellung bezogen. Seiner Meinung nach gibt es keinen Konflikt zwischen den Regionen. Kompanys Credo: „Wir sind alle Belgier!“
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