
Am Ende eines Abends, der Frankreich noch länger beschäftigen wird, stand eine bizarre Szene. Khéphren Thuram, Mittelfeldspieler von OGC Nizza, legte den Ball zum gegnerischen Eckstoß bereit. Dann lief er langsam zurück in den Strafraum, seine Mannschaft hatte, wie früher einmal üblich, bereits beide Pfosten besetzt. Alle standen bereit. Allein, es fehlte der Gegner, der die Ecke hätte ausführen können. Wenige Sekunden später pfiff Schiedsrichter Benoit Payan mit einem leeren Blick im Gesicht das Spiel ab.
Anderthalb Stunden zuvor war es an eben jener Eckfahne zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Es war gerade die 75. Spielminute angebrochen, da wollte Olympique-Spieler Dimitri Payet beim Stand von 1:0 für den Gastgeber aus Nizza eine Ecke ausführen, als gegnerische Fans ihn an der Eckfahne mit Plastikflaschen bewarfen. Eine davon traf ihn am Nacken, Payet ging zu Boden. Kurz darauf rappelte er sich wieder auf und schleuderte die Flasche zurück ins Publikum. Dann begann das Chaos. Ordner versuchten, die Lage zu entschärfen, doch als immer mehr Fans auf den Platz stürmten, eskalierte die Situation und es kam an mehreren Stellen des Platzes zu Tritten und Handgreiflichkeiten. Zunächst kehrten die Spieler auf Anweisung des Schiedsrichters Benoit Bastien in die Kabinen zurück. Nach anderthalb Stunden Unterbrechung beschloss der französische Ligaverband LFP gemeinsam mit dem örtlichen Präfekten Bernard Gonzalez schließlich, dass das Spiel fortgesetzt werden soll. Die Spieler von OGC Nizza begannen, sich aufzuwärmen, doch Olympique Marseille weigerte sich, den Platz noch einmal zu betreten.
Das Spiel beschäftigt ganz Frankreich
Inzwischen beschäftigen die Szenen, die sich am Sonntagabend in Nizza abgespielt haben, ganz Frankreich. In den französischen Medien schlägt das Spiel hohe Wellen. Die Sportzeitung L’Equipe schrieb von einer „Schande“, die den Ruf des französischen Fußballs diskreditiere. Auf der Suche nach schnellen Konsequenzen wird ein Verbot von Plastikflaschen in Stadien diskutiert. In einem Interview mit Le Monde vermutet der französische Soziologe Nicolas Hourcade, die Ursache der Gewaltausbrüche liege unter anderem in der anderthalbjährigen Abstinenz der Fans. Und die Sportministerin Frankreichs Roxana Maracineanu sieht in den Ausschreitungen eine „Beleidigung für den Fußball“ und fordert, die Schuldigen zu sanktionieren.
OM-Präsident Pablo Longoria erklärte die Entscheidung seines Vereins, nicht mehr den Platz zu betreten, folgendermaßen: „Wir haben zur Sicherheit unserer Spieler, die während des Platzsturms angegriffen wurden, entschieden, das Spiel nicht wieder aufzunehmen, da ihre Sicherheit nicht gewährleistet war.“ Gegenüber dem französischen Radiosender RMC fuhr er fort: „Wir müssen Präzedenzfälle für den französischen Fußball schaffen. Der Schiedsrichter war bei uns, er bestätigte uns, dass die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Seine Entscheidung war, das Spiel abzubrechen, aber die LFP beschloss, das Spiel neu zu starten. Das ist für uns nicht akzeptabel.“ Der Bürgermeister von Marseille, Benoit Payan, pflichtete ihm bei: „Verletzte Spieler, schlechte Sicherheitsvorkehrungen. Eine traurige Entscheidung, aber das Spiel durfte nicht wieder angepfiffen werden. Ich bin stolz auf mein Team, das sich nicht auf diese Scharade eingelassen hat.“
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